Eine Kleinigkeit
"Ach, das mache ich heute Abend, wenn ich nach Hause komme noch schnell vor dem zu Bett gehen", dachte ich, als es begann . Ich legte die Sache parat, um sie gleich bei der Heimkehr zur Hand zu haben. Am Abend besuchte mich eine alte Bekannte. Ich warf, um ihr einen Stuhl frei zu machen, alles ins Nebenzimmer und verbrachte einen sehr angeregt durchplauderten Abend. Es wurde nach ausgiebigem Essen spät und als sie gegangen war, hatte ich nur noch einen Gedanken: "Schnell ins Bett!"
Am nächsten Tag dachte ich überhaupt nicht mehr an die kleine Arbeit, die ich mir für den Vorabend vorgenommen gehabt hatte. Ja, ich sah sie nicht mal, da sie im Haufen der eilig ins Nebenzimmer geworfenen Sachen untergegangen war.
Erst am Wochenende, als ich einen Anlauf zum Aufräumen nahm, fiel sie mir wieder in die Hand. Um die Aufräumarbeiten nicht zu gefährden, legte ich sie beiseite und nahm mir fest vor, sie am Mittwoch Abend, an dem ich zu Hause sein wollte, zu erledigen
Doch am Mittwoch rief ein Freund an, im Fernsehen liefe eben ein toller Film, ich solle sofort einschalten. Nach dem Programm saß ich so bequem, dass ich erst zum Programmschluss aus dem Dämmerzustand erwachte und eiligst ins Bett ging.
Am anderen Morgen sah ich mit Schrecken, was alles liegen geblieben war. Darunter auch die kleine Arbeit von vor einer Woche. Aber ich war spät dran. Auf der Fahrt zum Büro dachte, ich noch mal kurz dran und vergaß sie denn wieder bis zum Wochenende.
Beim Aufräumen und Putzen legte ich sie zu anderen, auch zu erledigenden Arbeiten und nahm mir vor, sie bald fertig zu machen. Als das nach einer weiteren Woche nicht geschehen war, ärgerte ich mich, schrieb mir einen Zettel, auf dem sie mit anderen, auch schon längst fälligen Arbeiten zusammentraf. Lauter Dinge, vor denen mir grauste, weil ich sie schon so lange vor mir herschob.
Am Monatsende, beim großen Schreibtisch-Aufräumen, fand ich den Zettel wieder , Ach, herrje! Zwischendrin waren noch weitere Kleinigkeiten dazu gekommen. Die Liste wurde immer länger. "Also so geht es nicht weiter!" sagte ich mir und beschloss, dem grausamen Ärgernis ein Ende zu bereiten . Ich nummerierte die Erledigungen durch und nahm mir vor, jeden Tag eine durchzuführen nach 17 Tagen könnte ich die Liste wegwerfen, dachte ich.
Am ersten Tag war ich stolz auf meine kluge Planung, das Problem mit System anzugehen. Am zweiten Tag strich ich mit Genuss die zweite Zeile meiner Liste. Am dritten frohlockte ich über meine Willenskraft und am vierten über mein Durchhaltevermögen - Am fünften Tag musste ich leider eine neue Nummer, also 18, der Liste anfügen . Naja, kein Haushalt läuft reibungslos, ohne unvorhergesehene Pannen. Am sechsten Tag jubelte ich: "Ein Drittel ist geschafft!" Der siebte Tag war ausgerechnet ein Sonntag, an dem ich mit Freunden eine Wanderung verabredet hatte. Spät abends, nach einem riesigen Umweg - jemand hatte die falsche Karte mitgenommen - kam ich todmüde heim und schlief auf dem Sofa ein .
Am nächsten Tag gab's Ärger im Büro, prompt vergaß ich meine Liste. - Verärgert darüber und über mich selbst, floh ich am folgenden Abend in meine Stammkneipe - und war bei der Heimkehr zu keiner größeren Arbeit mehr fähig, außer einzuschlafen, - in Kleidern, einen Schuh abgestreift auf dem Sofa, wo mich irgend wann die Kühle der Nacht weckte. Im Bett träumte ich wild vom Stammtisch und wie wir über die Erledigung alltäglicher Kleinigkeiten stritten. Ich pries meine Liste, wurde. aber bei der Rückkehr von den Arbeiten, die sich auf mich stürzten, fast erdrückt. Ich kämpfte im Dunkeln wie ein Wilder gegen die Schattengestalten, die sich an mich klammerten, mich zu umschlingen schienen. Schweißnaß, ins Bettzeug verwickelt, wachte ich auf. Erst. mit Hilfe von Baldrian und warmer Milch, fand ich den Schlaf wieder und verschlief prompt.
Als ich am späten Vormittag erwachte, beschloss ich, statt zur Arbeit zu gehen, alle liegengebliebenen Arbeiten anzupacken, damit ich von ihnen nicht noch mehr Alpträume bekäme. Gesagt, getan. Nach einem Katerfrühstück setzte ich mich an den Schreibtisch, zückte die Liste und begann.
Zwei oder drei Stunden später, als ich fast fertig war, meldete sich mein Magen und knurrte hungrig, aber ich war eisern. Erst wollte ich noch die Kleinigkeit erledigen, die mich seit über fünf Wochen, quälte. Fünf Minuten später war der Kragenknopf angenäht und ich warf das inzwischen angestaubte Hemd in die Wäsche.
Notiert 11. 1. 1982