Carl-Josef Kutzbach
 
Morgendlicher Disput
 
 
„Ist das hell!“, erschrak das Auge und schloss sich schnell wieder. „Stimmt das?“, fragte das andere, „dann brauch ich gar nicht erst das Augenlid zu heben.“
„Aber wir sagen Euch doch“, sagten die Ohrenzwillinge, „da war was! Da, jetzt wieder, jemand ruft!“
„Seid ihr sicher? Ich sehe nichts!“ , sagte das erste Auge.
„Na, du bist wohl wieder zu?!“ spotteten die Ohrenzwillinge.
„Weil‘s so hell ist“, quengelte das Auge.
„So hell klingt das gar nicht“, antworteten die Ohrenzwillinge, „eher verschlafen klingt‘s!“
„Oh, ich bin zugeklebt!“, meldete sich nun das zweite Auge. „Die Finger müssen mir helfen.“
„Was ist los?“ raunzten unwirsch ein paar Finger.
„Ihr müsst mir den Sand vom Augenlid wegnehmen, sonst kann ich nichts sehen“, erklärte das Auge.
„Jaja, schon gut. Wir kommen gleich“, brummte der Daumen. „Wir müssen nur erst mal Hand und Arm wecken.“
„Muss das sein?“ schimpfte der Arm, bewegte sich aber doch.
„Huch, ist das kalt!“ rief der kleine Finger, als er unter der Bettdecke hervor kam. Auch Hand und Arm zuckten zurück.  
„Wird‘s bald! Ihr faules Pack da oben!“, rief die Blase. „Ich platze gleich! Seit zwei Stunden versuche ich Euch aufzuwecken!“
„Was die nur hat?“ sagte das eine zum anderen Auge. „Wenn wir nicht offen sind, weil der Sand unsere Lider verklebt, passiert gar nichts.“
„Uaah!“ gähnte da der Mund, und wie auf Kommando streckten sich alle Glieder.
„Huch ist das kalt!“ „Ich friere !“ „Schnell wieder unter die warme Decke!“ tönte es von allen Seiten.
„Ich warne Euch“, rief die Blase, „gleich platze ich!
„Jaja, schon gut, wir kommen ja schon“, sagten die Finger und rieben dem Auge den Sand weg.
„Wirklich sehr hell heute morgen“, sagte es. „Da sind ja tatsächlich schon die Vorhänge und Fensterläden offen!“
„Sagte ich doch!“, tönten die Ohrenzwillinge zugleich. „Aber uns glaubt ja niemand.“
„Nun macht schon!“ rief die Blase dazwischen.
„Also gut“, brummte der Schädel. „Auf marsch zum Klo!“
 
„Du Idiot hättest erst „Hausschuhe anziehen“ kommandieren sollen, beschwerten sich die Füße schon nach wenigen Schritten. „Der Boden ist eiskalt! Jetzt mach wenigsten schnell, damit wir ins warme Bett zurück kommen.“
„Schneller!“ kommandierte der Schädel.
„Erst lasst ihr einen stundenlang warten, und dann soll‘s auch noch schnell gehn“ , schimpfte die Blase.
„Quatsch nicht!. Wir wollen ins warme Bett zurück“, riefen die Füße.
„Also gut.“, brummte der Schädel. „So weit oben fühle ich mich noch gar nicht wohl.“
„Aach, ist das im Bett schön!“, lächelte der Mund und alle Glieder wühlten sich tiefer in die noch warmen Decken.
„Aber wir sollen doch aufstehen!“, wandten die Ohren ein. „Hört ihr denn nicht?“
„Nee, dazu haben wir doch Euch“, antwortete die Nase. „Ich rieche jedenfalls weder Kaffee, Tee, Schokolade noch frische Brötchen.“
„Nicht schon wieder!“ zitterten die kalten Füße.
„Die Ohren haben recht“, brummte der Schädel. „Also Kommando: Anziehen!“
„Ferkel!“ schimpfte die Nase. „Ihr wascht Euch nie, und ich muss dann den Gestank ertragen!“
 
 
 
Skizziert ca. 1988 Notiert am: 26.5.1998